Lesetipps im September 2015

Die alten Knacker
Wilfrid Lupano, Paul Cauuet
Rentner auf Abwegen
Pierrot, eine alter Herr um die 70, noch immer seiner anarchistischen Haltung treu, setzt sich nach längerer Zeit mal wieder ans Steuer seiner Klapperkiste und sammelt seinen alten Bekannten Mimile im Altenheim ein. Aus Paris führt ihr Weg aufs Land zu ihrem gemeinsamen Freund Antoine – und zu einer Beerdigung, der von Antonines Frau Lucette. Trotz des traurigen Anlasses ist die Wiedersehensfreude der alten Freunde groß. Die drei schwelgen in Erinnerungen und erzählen Anekdoten aus ihrer Jugend, über die sich auch Antoines Enkelin Sophie bestens amüsieren kann. Am nächsten Tag ändert sich plötzlich alles. Als Antoine vom Notar zurückkommt, wo er einen Brief seiner Frau erhielt, in der sie etwas gestand, wozu sie zu Lebzeiten nie den Mut aufbrachte, greift sich Antoine ein Gewehr und rast vor den Augen seiner alten Freunde mit dem Auto davon. Die Eifersucht treibt ihn an, denn er hat von einer 50 Jahre alten Affäre seiner Frau erfahren ... ausgerechnet mit dem größten Feindbild, dass der alte Gewerkschaftler hat: Monsieur Garan-Servier, der ehemalige Boss des Pharmaunternehmens, in dem Antoine tätig war. Der alte Patriarch verbringt seinen Lebensabend in Italien. Dorthin folgen Pierrot, Mimile und die hochschwangere Sophie Antoine nun in einem alten Kleinbus, der ein Puppentheater beherbergt, mit dem Lucette früher über die Dörfer zog. Doch sie sind ein wenig zu spät, um Antoine einzuholen, bevor er auf seinen Widersacher trifft. Dies lief allerdings ganz anders ab, als von Antoine geplant. Eine echte Überraschung steht auch Sophie bevor, als sie auf Garan-Servier trifft ...
Mit dieser Geschichte der drei alten Knacker, die aber noch längst nicht vergreist sind, hat Wilfrid Lupano eine kluge und erfrischende Melange aus Sozialkomödie und Roadmovie mit politischem Hintergrund geschrieben, bis in die kleinsten Details großartig erzählt. Mit leicht karikierendem Strich verleiht Zeichner Paul Cauuet den Figuren Leben und der Geschichte mit seinen detaillierten Landschaften und Hintergründen eine wunderbare Atmosphäre. „Die alten Knacker” ist eine der, wenn nicht sogar die interessanteste neue Albenserie, der letzten Zeit und hat somit auch völlig zurecht auf dem diesjährigen Comicfestival in Angouleme den Publikumspreis erhalten.



Rohrkrepierer
Isabel Kreitz, Konrad Lorenz
Geschichten aus St. Pauli
Auf eine Zeitreise in die Nachkriegsjahre und nach St. Pauli begibt sich Isabel Kreitz in ihrem neuen Band Rohrkrepierer. Es handelt sich um die Adaption eines autobiografischen Romans des 1942 geborenen Schriftstellers Konrad Lorenz, der von seiner Kindheit und Jugend in Hamburgs berühmten und verrufenem Stadtteil erzählt. Es sind Geschichten von jugendlichem Übermut, erster Liebe, dem totgeglaubten und doch aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrten Vater, von St. Paulis Kultkneipe „Tante Hermine” und auch vom Versuch der Rückkehr in die Normalität nach dem Krieg. Mit fein ausgeführten Bleistiftzeichnungen zieht Kreitz ihre Leser/innen mitten hinein in den turbulenten und dramatischen Alltag und lässt diese vergangene Epoche auf fast 300 Seiten wieder lebendig werden.



Day Men
Matt Gagnon, Michael Alan Nelson, Brian Steelfreeze
Krieger des Tages
Sie sind die Wesen der Nacht: Seit Jahrtausenden leben mächtige Vampir-Familien auf der Welt, die längst die heimlichen Herrscher unseres Planeten sind. Doch wenn sie tagsüber ruhen, sind sie angreifbar und auf den Schutz und die Dienste „normaler“ Menschen angewiesen, die im Tageslicht die Geschäfte der Blutsauger-Klans regeln – die Day Men. David Reed ist einer dieser Day Men, noch nicht lange im Job, aber bestens ausgebildet. Er arbeitet für die Familie Virgo und ist dort neben den üblichen Arbeiten, wie Bestechungsgelder verteilen oder die Spuren von „Nahrungszwischenfällen” zu vernichten auch immer wieder mit dem Schwarzen Schaf der Familie Virgo beschäftigt. Als er erneut den völlig betrunkenen Nybor aufsammeln soll, findet er diesen bei einer Leiche. Allerdings keine menschliche, sondern eine Tote eines anderen Vampirklans. Dieser Zwischenfall soll der Auslöser eines blutigen Krieges zwischen den Vampir-Familien werden, einem Krieg, in dem sich auch Reed behaupten muss ...
Matt Gagnon, gleichzeitig auch Chefredakteur des US-Verlages Boom! Studios, hatte die Idee zu dieser ungewöhnlichen Vampir-Geschichte, die er dann zusammen mit Szenarist Michael Alan Nelson schrieb. Für die Zeichnungen kam Brian Steelfreeze an Bord und so entstand eine äußerst spannende Saga, die das Genre mit frischem Blut versorgt hat.



Wo sind die großen Tage geblieben?
Jim, Alex Tefenkgi
Die Zeit, erwachsen zu werden
Sie waren – seit langem – vier Freunde. Jetzt sind sie nur noch zu Dritt, denn Fred nahm sich das Leben. Vor allem Hugo ist davon stark mitgenommen. Doch ist es wirklich nur Freds Tod, warum Hugos Leben kurz vor seinem 40. Geburtstag immer mehr aus der Bahn gerät und er auch den Erhalt seiner Familie, Frau und Tochter, aufs Spiel setzt? Nun stellt sich für Hugo, wie auch für die beiden anderen des ehemaligen Quartetts zunächst eine ganz andere Frage: Was hat es mit den seltsamen Hinterlassenschaften Freds auf sich, die sie nun durch den Testamentsvollstrecker erhalten haben? Ein Buch von Satre für den Lesemuffel Etienne, eine Ziehharmonika und Opernkarten für Jean-Marc sowie eine Zwille und ein Einrad für Hugo. Alles Dinge, mit denen die drei nicht das geringste anfangen können. Dennoch bewirken diese Hinterlassenschaften auf wundersame Weise ein paar einschneidende Veränderungen im Leben der Bedachten ...
Wo sind die großen Tage geblieben? fragt Jim in seinem neuen Alltagsdrama, das von Alex Tefenkgi mit klarem Strich illustiert wurde.



Schattenspringer 2: Per Anhalter durch die Pubertät
Daniela Schreiter
Wie ein Alien auf Erden...
... so fühlte sich Daniela Schreiter häufig in ihrer Kindheit und Jugend. Erst die Jahre später erfolge Diagnose des Asperger-Autismus ließen Schreiter ihre Andersartigkeit endlich verstehen. Mit ihrem vor über einem Jahr erschienenen ersten Teil ihrer biografischem Serie Schattenspringer gelang ihr ein wunderbares Buch, das gleichzeitig unterhaltend wie auch für „Normalos” informativ war. Da das Projekt für den Verlag zu einem überraschenden Erfolg wurde, geht es nun unter dem Titel „Per Anhalter durch die Pubertät” in die zweite Runde. Daniela Schreiter setzt ihre Erinnerungen fort und berichtet vom Übergang vom Kind zur Frau, wo ganz neue Herausforderungen, insbesondere im zwischenmenschlichen Bereich, auf sie warten sollten. Auch diesem Band gelingt es wieder mit viel Humor bestens zu unterhalten und gleichzeitig mehr über das Innenleben vom Asperger-Syndrom betroffener Menschen zu erfahren und diese besser zu verstehen.