Lesetipps im Juli 2015

Blast
Manu Larcenet
Leben ohne Grenzen
Ganz plötzlich stieg er aus seinem bisherigen Leben aus, ließ Arbeit, Familie und ein Dach über dem Kopf hinter sich, um alleine irgendwo in den Wäldern zu hausen. inzwischen musste er allerdings die freie Natur gegen den Platz in einer Zelle eintauschen, wo er im Fall einer ermordeten Frau verhört wird. Anfangs verschlossen, beginnt der Verdächtige langsam zu erzählen und holt dabei weit aus ...
Vor gut drei Jahren erschien der erste Teil von Manu Larcenets Reihe Blast, die mit dem vierten der jeweils 200 Seiten starken Bände nun abgeschlossen wurde. Larcenet beschreibt hier das Leben dieses Aussteigers, Polza Mancini, aus dessen Sicht, so wie dieser es in den Verhören schildert. Mancinis Ausstieg aus dem Alltag wurde auch ein Einstieg in den Exzess, denn große Abschnitte dieser Zeit verbrachte er völlig berauscht unter dem stetigen Einfluss von Alkohol oder anderen Drogen. Dabei war er immer auf der Suche nach dem „Blast“, einer geistigen Grenzerfahrung, die er erstmals beim Tod seines Vaters hatte. Mancini bewegte sich dabei immer wieder mehr als nur am Rande der Legalität, versorgte sich bei Einbrüchen mit notwendigen Dingen oder half einem Dealer bei dessen Tätigkeit. Als er im Laufe seiner Odyssee schließlich in einer geschlossenen Klinik landet, ist er auch zu körperlicher Gewalt bereit, um von dort entfliehen zu können. In dieser Klinik lernt er aber auch jemanden kennen, bei dem er später Unterschlupf finden wird und zu dessen Tochter sich eine ganz besondere Verbundenheit entwickeln soll.
Wenn Mancini, ein hochintelligenter, mit seinem übergewichtigen unförmigen Körper aber alles andere als attraktiver Mann, seine Geschichte erzählt, beginnt man unwillkürlich, mit ihm mitzufühlen, ihn fast zu beneiden um die intensiven Erlebnisse seines radikalen Ausstiegs. Umso bitterer überrascht das Ende, mit seiner düsteren Wendung. Larcenet hat diese Geschichte in Grautönen gehalten und lässt nur in bestimmten Momenten die Farbe in seine Bilder hereinbrechen. „Blast“ ist eine außergewöhnliche und intensive grafische Erzählung, die tief in menschliche Abgründe führt – eines der spannendsten Comic-Projekte der letzten Jahre.



Baltimore
Mike Mignola, Christopher Golden, Ben Stenbeck

Buffy Staffel 10
Christos Gage, Nicolas Brendon, Rebekah Isaacs
Vampirjäger
Dass er ein Meister des Unheimlichen und Mysteriösen ist, hat Mike Mignola längst mit seinem „Hellboy“ bewiesen. Das Universum um sein sympathisches Höllenwesen ist aber nicht das einzige, das er schuf. So entstan mit Koautor Christopher Golden die Geschichte eines britischen Adeligen, dessen Zusammentreffen mit einem Vampir auf den Schlachtfeldern des ersten Weltkriegs die Welt für immer verändert hat. Die erste Erzählung über Lord Henry Baltimore erschien bereits vor sieben Jahren als illustrierter Roman. Längst haben aber Mignola und Golden sowie Zeichner Ben Stenbeck auch jede Menge Comics um den unerbittlichen Vampirjäger Baltimore geschaffen. Auf über 550 Seiten liegen die ersten vier US-Sammelbände nun in einem dicken Hardcoverbuch vor und führen die Leser/innen in eine alternative Realität, in der während des Krieges die Vampire wiedererweckt wurden und die Menschheit nun von der „roten Pest“ heimgesucht wird, einer Seuche, die die Betroffenen in blutrünstige Untote verwandelt. Quer durch dieses versinkende Europa zu Beginn des 20 Jahrhunderts zieht Baltimore auf der Jagd nach Vampiren und Dämonen – immer auf der Spur seines Erzfeindes, des Vampirs, mit dem er im Schützengraben zusammenstieß und so erst all das Unglück auslöste. Doch auch Baltimore hat einen Verfolger: Ein unbarmherziger Gotteskrieger der wieder ins Leben gerufenen Inquisition, sieht in Baltimore einen dem Teufel verfallenen Mann ... In mehreren langen Episoden sowie einigen Kurzgeschichten lassen die drei Autoren eine Welt erstehen, die am Abgrund steht. Packend erzählter Horror mit einer Prise Steampunk.

Apropos Vampirjäger(innen): Auch mit Buffy geht es weiter. Mit Staffel 7 im TV beendet, folgte die Fortsetzung als Comic. Hier startet nun bereits die von Rebekah Isaacs gezeichnete zehnte Staffel, in der sich die Welt für Buffy und ihre Mitstreiter/innen nach den großen Dramen wieder zu normalisieren scheint. Die Magie ist zurück – allerdings verändert. Alte Regeln gelten nicht mehr ... Szenarist Christos Gage erhielt ab der dritten Episode übrigens Unterstützung durch Nicolas Brendon (der in der TV-Serie die Rolle des Xander Harris spielte). Ob es daran liegt, dass ausgerechnet Xander in der Story unter den Einfluss Draculas gerät und dabei nicht sonderlich gut dasteht? Außerdem kehrt mit Giles noch ein alter Bekannter zurück in die Welt der Lebenden, allerdings in einem sehr ungewohnten Körper...



Shoplifter – Mein fast perfektes Leben
Michael Cho
Frust-Job
Corrina Park ist eine junge Frau, die nach ihrem Studium (Bachelor in Englisch) eigentlich Schreiben wollte. In dem Job, den sie annahm (und in dem sie nun schon viel länger festhängt, als geplant) darf sie auch schreiben – allerdings keine Romane oder Kurzgeschichten, sondern Werbesprüche für beispielsweise Fußcreme. Sie arbeitet in einer erfolgreichen Werbeagentur in irgendeiner nordamerikanischen Großstadt. In einem Meeting, in dem der Claim für ein Parfüm konzipiert wird, das für kleine Mädchen gedacht ist, platzt aus ihr allerdings eine Bemerkung heraus, durch die klar wird, dass sie an ihrem Job eigentlich keinen Gefallen mehr findet ...
Shoplifter ist die erste Graphic Novel des bisher mit kurzen Arbeiten und Illustrationen bekannten Michael Cho. Der aus Korea stammende Kanadier begleitet hier Corrina während einer kurzen Episode ihres Lebens, in der sie eine schwierige Entscheidung treffen muss. Mit elegantem Strich (schwarzweiß mit der Zusatzfarbe rosa) bringt Cho ein wunderbares kleines Alltagsdrama zwischen Job, Einsamkeit und dem Kick, den Corrina in ihrem Leben nur noch durch kleine Ladendiebstähle erfährt, zu Papier.