Lesetipps im Juni 2015

Die Heimatlosen
Paco Roca

Kinder der Hoffnung
Alain Grand, Marc Levy
Widerstandskämpfer
Die hier erzählte Geschichte von Miguel Ruiz beginnt im März 1939 im Hafen der spanischen Stadt Alicante. Hier kann der Kämpfer der spanischen Republik nach der Niederlage gegen die Putschisten unter General Franco mit einem der letzten Schiffe entkommen, dass Flüchtlinge zusammengepfercht aus dem Land bringt. Es ist der Beginn einer Odyssee über Frankreich, nordafrikanische Arbeitslager, England und wieder Frankreich. Denn in Afrika schloss er sich, wie auch viele andere spanische Republikaner, der französischen Armee an, einem Regiment das aufgrund der vielen Spanier den Namen „La Nueve“ bekam und das später das erste sein sollte, dass in Paris zur Befreiung der Stadt einmarschierte. Und es ist auch die Geschichte dieser Einheit, die Paco Roca in seinem Band Die Heimatlosen erzählt. Roca hat für sein Buch aufwändige Recherchen betrieben, um mit seiner Graphic Novel ein realistisches zeitgeschichtliches Bild zu zeichnen – auch wenn es nicht ganz so real ist, wie es seine Erzählung erscheinen lässt. Denn die Figur des Miguel Ruiz ist, obwohl der Autor Paco Roca in einer zweiten Erzählebene der Geschichte diesem im hohen Alter begegnet und sich dessen Leben direkt schildern lässt, eine Kunstfigur. Roca dürfte es so am elegantesten gelungen sein, diese packende Geschichte anhand vieler der dokumentierten Schicksale der spanischen Republikaner während des Zweiten Weltkriegs zu erzählen. Geschichten von Männern, die mit all ihrer Kraft den Faschismus bekämpften und deren Traum, auch ihre Heimat befreit zu sehen, nach dem Ende des II. Weltkriegs nicht in Erfüllung ging, denn die spanische Franco-Diktatur sollte noch bis in die 1970er-Jahre bestehen. Roca hat ein großartiges und intensives Buch geschaffen, eine Erzählung von Helden, ohne diese zu verherrlichen.

Doch nicht nur Soldaten haben gegen den Faschismus gekämpft. So tat dies zum Beispiel auch Raymond Levy, ein 18-jähriger jüdischer Franzose, der sich 1938 in Toulouse der französischen Rèsistance anschließt und Mitglied einer bunten internationalen Gruppe wird. Was Anfangs noch fast als ein Spiel erscheint, wird für ihn schnell zum bitteren Ernst, der später in einem Viehwagon auf dem Weg in ein Konzentrationslager enden soll. Raymond Levy konnte dennoch überleben – im Gegensatz zu vielen seiner Mitstreiter. Marc Levy konnte so die Erlebnisse seines Vaters in dem Roman Kinder der Hoffnung verarbeiten. Alain Grand adaptierte diesen nun ins Medium Comic.



Little Tulip
François Boucq, Jerome Charyn
Tätowierkünstler
New York 1979: Hier betreibt Paul eine kleinen Tattooo-Laden, unterstützt mit seiner künstlerischen Begabung aber auch die Polizei als Phantomzeichner. Denn kein anderer kann aus den Beschreibungen eines Zeugen so schnell und intuitiv ein stimmiges Bild eines Gesuchten schaffen. In einem aktuellen Fall eines Serienkiller mit Weihnachtsmannmütze, der in einsamen Gassen Frauen vergewaltigt und ermordet, fehlen allerdings jegliche Zeugen – und Paul ahnt noch nicht, wie viel dieser Fall mit seiner eigenen Vergangenheit zu tun hat. Und diese hat es in sich: Ende der 1930er-Jahre emigrierten dessen Eltern von New York nach Moskau. Doch nachdem der Weltkrieg ausbrach, gerieten Pauls Eltern in den Verdacht, amerikanische Spione zu sein. Die Familie wurde in die sibirischen Gulags gebracht und getrennt. Paul war gerade einmal sieben Jahre alt, als er lernen muss, dort zu überleben. Und das gelingt ihm im Kampf aber vor allem mit seiner Zeichenkunst, die ihn dort zum gefragten Tätowierer werden lässt ...
Little Tulip ist nach fast 25 Jahren wieder eine Zusammenarbeit des amerikanischen Autors und Comic-Szenaristen Jerome Charyn mit dem französischen Zeichner François Boucq, die mit diesem Band ein packendes Thriller-Drama vorlegen.



Abenteuer in der Elfenwelt - ElfQuest
Wendy Pini, Richard Pini
Erneuter Aufbruch
Die Fantasy-Saga von Wendy und Richard Pini ist nicht neu: 1984 startete der Bastei Verlag eine Kiosk-Ausgabe der „Abenteuer in der Elfenwelt“, 1997 begann die Serie erneut, diesmal bei Carlsen, die bis 2004 viele der Geschichten aus Pinis Elfen-Universum veröffentlichten. Dort aber inzwischen lange vergriffen, wagt sich nun Tokyopop an eine Neuedition der epischen Erzählung des Künstler-Ehepaars. Diese Edition bietet auch wirklich Neues, denn erstmals wird ElfQuest hier in der ursprünglichen Schwarzweiß-Version veröffentlicht. Der Verzicht auf die manchmal etwas arg bunt geratene Kolorierung schadet keinesfalls und lässt den Stamm der Wolfsreiter ein wenig grimmiger erscheinen.
Die Geschichte beginnt mit dem Verlust des heimatlichen Waldes, den die Wolfsreiter seit langem bewohnen – abgebrannt, nachdem eine seit Generationen andauernde Feindschaft zwischen Elfen und Menschen eskalierte. Die Wolfsreiter können sich in die Höhlen retten, werden aber von den lebenden Trollen hintergangen und finden sich in einer lebensfeindlichen Wüste wieder. Noch können sie nicht ahnen, dass sie bald ein anderes Elfenvolk entdecken werden, deren Lebensweise sich grundsätzlich von der der Wolfsreiter unterscheidet ...
Die Elfen sind unverwüstlich, Neueditionen der Serie gibt es auch in den USA immer wieder, und das obwohl die Anfänge schwer waren. Keiner der großen Verlage wollte Elfquest in den späten 1970er-Jahren, als die Pinis ihre Serie erschufen, veröffentlichen, so dass Wendy und Richard schließlich ihren eigenen Verlag gründeten. Mehr dazu ist in dem informativen Vorwort von Comic-Koryphäe Andreas C. Knigge zu lesen, das die Tokyopop-Ausgabe, die in Hardcover-Sammelbänden im US-Format erscheint, ergänzt. Auch Altlesern, die sich erneut auf die große Reise mit Schnitter und seinem Elfenstamm begeben wollen, sei diese Ausgabe durchaus empfohlen.



Julius Corentine Acquefacques: Die Verschiebung
Richtung

Marc-Antoine Mathieu
Skurrile Welten
Gleich im Doppelpack entführt Marc-Antoine Mathieu die Leser/innen in seine voll unglaublicher Ideen steckenden Welten. Mit Die Verschiebung ist ein neuer Band um Julius Corentine Acquefacques, den Gefangenen der Träume erschienen, der Reihe mit deren erstem Titel, „Der Ursprung“, Mathieu 1990 der Durchbruch gelang. Erneut geht er spielerisch mit dem Medium Comic um und schickt seinen Helden so in ein unglaubliches Abenteuer, an dem er diesmal aber gar nicht teilnimmt (wobei sich allerdings die Frage stellt, ob es ohne den Helden überhaupt irgendein Abenteuer geben kann), da er einfach zu spät in die Geschichte eingestiegen ist. Deshalb beginnt das Buch auch mit Seite 7, das Cover findet sich mittendrin und dazwischen wurden auch noch einige Seiten teilweise herausgerissen, um so zu versuchen die Handlungsverschiebung wieder zu synchronisieren. Mathieus Einfälle sind einfach großartig und sorgen auch immer wieder für ganz besondere Buchunikate.
Ganz einfach ist dagegen die Handlung der völlig wortlosen 230, jeweils ein Panel beinhaltenden Seiten, in dem offiziell Richtung betiteltem Band, obwohl der tatsächliche Titel einfach ein Pfeil ist. Und mit einem kleinen Pfeil, der sich als Schlüsselloch entpuppt und eine Tür zeigt, die aus einem schwarzen Nichts herausführt, beginnt das Buch. Durch diese Tür schreitet ein Mann – mit Trenchcoat, Hut und Aktentasche – und betritt eine Welt, in der nichts existiert außer Pfeilen in allen möglichen Variationen, die dem Mann mal klar, mal verworren die Richtung seines Weges anzeigen. Ein wunderbar absurdes Buch voller Interpretationsspielraum.