Lesetipps im Oktober 2015

The Singles-Collection
Mawil
Schöne Töchter
Flix
Quadratisch und gut
Bereits seit 2006 veröffentlicht die Berliner Zeitung „Tagesspiegel“ in der sonntäglichen Ausgabe auch Comics – keine Nachdrucke von US-Strips, sondern eigens für die Zeitung entstandene Werke. Vier Zeichner wechseln sich hier ab (inzwischen hat sich die Besetzung verändert und mit Olivia Vieweg ist es keine reine Zeichner-Boygroup mehr), von zweien erschienen nun Sammelbände der Tagesspiegel-Arbeiten, beide in schicker Langspielplatten-Größe (30x30 cm).
Trotz LP-Format nennt Mawil sein Buch allerdings The Singles Collection, denn schließlich sind die Strips bei ihm ja auch bunt gemischte Einzelstücke. Mal erzählt er unterhaltsame Episoden aus seinem Leben oder fragt die LeserInnen der Zeitung, ob sie sein geklautes Fahrrad gesehen haben, mal erfolgt die Inspiration durch aktuellen Themen oder er lässt seinen anarchischen Supa-Hasi auf die Welt los. Und wenn es nicht anders geht, kann der Strip auch mal, im Krankenhaus liegend, auf einem karierten Papierblock skizziert entstehen. Gerade durch die thematische Vielfalt und natürlich dank Mawils großartigem Humor können seine Comic-Sonntagsseiten bestens unterhalten ... nun endlich auch alle Nicht-BerlinerInnen bzw. Nicht-Tagesspiegel-LeserInnen.

Thematisch reduzierter zeigt sich dagegen Flix, denn dessen Strip handelt, wie er selbst sagt, „von allem, was sich Liebe nennt“. Und bei diesem Thema gibt es jede Menge zu erzählen, denn schließlich kann zwischenmenschlich so viel passieren (und manchmal auch schieflaufen). Während bei Flix so also das Thema fixiert ist, lässt er sich umso mehr Freiheiten in der Umsetzung und geht spielerisch mit dem Layout der Strips um. Keine Panelaufteilung der Seiten im Schöne Töchter betitelten Sammelband erscheint gleich und doch erfüllt jede Anordnung bestens ihren Zweck und zeigt, wie gekonnt Flix mit den Möglichkeiten des Mediums Comic umzugehen weiß. Dass er dies auch einigen anderen großen Comic-Künstlern verdankt, zeigen die Hommagen in einigen der Strips. „Wer wissen will, was der Comic auf beschränktem Raum alles leisten kann, der lese und liebe diesen Comicstrip“ schreibt Andreas Platthaus treffend im Nachwort des Buches.



Fahrradmod
Tobi Dahmen
Der Sound der Jugend
Vom musikalischen Buchformat zum Comic voller Musik: Tobi Dahmen erzählt in Fahrradmod über seine Jugend, in der Musik sowie die Zugehörigkeit zu und der Style einer Szene eine große Rolle spielten. Aufgewachsen in den 1980er und 1990er-Jahren in einer westdeutschen Kleinstadt, kam mit etwas Verspätung auch dort das Revival eines britischen Mode- und Musiktrends an, den der junge Tobi begeistert aufnahm: soulige Musik, italienische Motorroller (auch wenn es bei Tobi nur zum Fahrrad reichte) und gepflegte Kleidung – fertig war der Mod. Und dazu gehörten auch Konzerte und exzessive Partys, bei denen Alkohol längst nicht die einzige Droge war, sowie die Fehde mit den örtlichen Rockabillys. Übergänge zu anderen Subkulturen können fließend sein, bei Tobi kam später der Ska dazu und er wandelte sich vom Mod zum Skinhead – bis die sich immer weiter ausbreitenden Nazi-Skins, dies kaputt machten. Tobi Dahmen ergänzt seine lebendig erzählte Geschichte auch um kurze Episoden über die historischen Hintergründe der verschiedenen Subkulturen. Seit 2007 entstand Dahmens autobiografischer Comic, der ab 2011 zu großen Teilen online vorveröffentlicht wurde und nun abgeschlossen ca. 450 Seiten umfasst. 450 Seiten, die spüren lassen, dass die Faszination Dahmens für die Mod-Bewegung nicht zusammen mit der Jugend vergangen ist ...



Buddy Longway
Derib
Familien-Western
Mit Buddy Longway schuf der Schweizer Derib in den 1970er-Jahren einen untypischen Western: keine Revolverhelden, Sheriffs und Saloons, sondern die Geschichte eines Trappers, der eine Sioux-Indianerin aus der Gefangenschaft rettet, sich in diese verliebt und mit ihr eine Familie gründet. Im Laufe der Bände bekommen sie Kinder und altern (auch eher ungewöhnlich im Umfeld der meist nie alternden Comicserienhelden). Buddy Longway war das erste eigene Projekt Deribs, der bisher nur mit Szenaristen zusammengearbeitet hatte. Erst kurz zuvor begann er mit Job den Kinder-Klassiker „Yakari“, und auch die ersten Buddy-Longway-Alben haben bei den Zeichnungen der Personen noch einen leichten Funny-Anstrich, bevor auch diese so realistisch, wie die großartig gezeichneten wilden Landschaften wurden. Egmont startete nun eine fünfbändige Gesamtausgabe der sympathischen Serie.



Weiße Felder
Sylvain Runberg, Olivier Martin
Kreativitätsblockade
Bevor ein Comic entsteht, sind die Panels nur Weiße Felder, die befüllt werden müssen. Dass dies manchmal gar nicht so einfach ist, schildert Sylvain Runberg in seiner Erzählung über den Alltag des Comiczeichners Vincent Marbier, der mit seinem neuen Album bereits gewaltig in Verzug ist. Es ist der zweite Teil einer Fantasy-Serie, deren erster Band ein Überraschungserfolg war, mit dem niemand, vor allem nicht Marbier rechnete. Als er den Job annahm, war er sich sicher, dass die Serie nach Band 1 wieder eingestellt wird. Doch nun muss es weitergehen. Der Texter hat das Szenario seit langem an Marbier übergeben und der Verlag wartet händeringend auf die Seiten, denn die Einnahmen des Buches sind längst eingeplant. Doch noch hat Marbier keine einzige Seite fertiggestellt. Er muss den Verlag gar belügen: Als er versprochene Seiten nicht zu einer Messe mitbringen kann, behauptet er, diese im Zug vergessen zu haben. Dass er die Serie nicht weiter zeichnen kann, da er zu ihr keinerlei Bezug aufbauen konnte, will er nicht wahr haben. Es muss erst ein Unglück passieren, das ihm Klarheit verschafft ... Olivier Martin illustrierte diese Geschichte, die hinter die Kulissen der Comicwelt blickt, stimmungsvoll in monochromen Braun-, Grau- und Blautönen. Szenarist Runberg, bisher eher im Science-Fiction und Abenteuer-Genre zu Hause zeigt sich von einer neuen Seite und beweist mit diesem ruhig erzählten Drama seine erzählerische Vielfalt.