Lesetipps im Februar 2015

Der Traum von Olympia
Reinhard Kleist
Flüchtlingsdrama
Für Samia Yusuf Omar bedeutete Laufen Leben. Die somalische Leichtathletin, die in ihrem vom Bürgerkrieg zerstörten Land kaum die Möglichkeit hatte, zu trainieren, war bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking dabei. Sie startete im 200-Meter-Lauf für Somalia – und auch wenn sie mit Abstand die Letzte wurde, war es für sie ein großer Erfolg, überhaupt dabei gewesen zu sein ... und ein Ansporn, in vier Jahren erneut und besser an Olympia teilzunehmen. Zurück in Somalia zeigte sich schnell, dass sie hier, bedroht von den herrschenden muslimischen Fundamentalisten, keine Zukunft als Sportlerin haben kann. Auch ihr Versuch, im Nachbarland Äthiopien in ein Team aufgenommen zu werden, schlug fehl. So fiel ihre Entscheidung, sich auf eigene Faust nach London, dem Austragungsort der nächsten Spiele, durchzuschlagen. Eine Odyssee beginnt: durch die sudanesische Wüste nach Libyen und dabei immer der Willkür der Schleuser ausgesetzt. Die gefährlichste Etappe der fast ein Jahr dauernden Reise ist allerdings das Meer. Und dort, irgendwo im Mittelmeer, endet im Frühjahr 2012 nach nur wenig mehr als 20 Jahren das Leben der Samia Yusuf Omar. Ertrunken, wie unzählige andere Flüchtlinge auf ihren nicht seetüchtigen Booten ... erfolgreich von der Festung Europa abgewehrt.
Reinhard Kleist erzählt in Der Traum von Olympia nun diese Geschichte, die beispielhaft für so viele andere Flüchtlingsschicksale und die verfehlte europäische Asylpolitik steht. Kleist führte dazu unter anderem Gespräche mit Samias Schwester. Da Samia während ihrer Reise immer wieder per Facebook Kontakt zu Freunden und Familie hatte, ließen sich viele der Ereignisse der langen Reise rekonstruieren. Wo dies nicht möglich war, ergänzte Kleist seine Graphic Novel durch Erlebnisse, die auf den Berichten anderer Migranten basieren. So entstand diese außergewöhnliche Biografie einer willensstarken jungen Frau und eine äußerst aktuelle Geschichte, die das alltägliche Drama an den Außengrenzen Europas begreifbar macht. Der 2014 in der FAZ bereits vorabgedruckte Comicstrip wurde von Kleist für das andere Format der nun vorliegenden Fassung als Buch stimmig überarbeitet und erweitert. Ein Buch, das erneut Kleists Können als grafischer Erzähler anspruchsvoller Themen zeigt.



MSGL - Mein schlecht gezeichnetes Leben
Gipi
Jugendsünden
Ganz selbstironisch hat Gipi sein neues Buch Mein schlecht gezeichnetes Leben getauft. Doch schlecht sehen die skizzenhaften Erinnerungen des Künstlers wirklich nicht aus. Nicht ganz so gut war dagegen die Jugend Gipis, denn was er in diesem Buch von der Leber weg erzählt sind unter anderem Geschichten von den Nachwirkungen zu vieler bewusstseinsverändernder Substanzen oder von unvollendeten Selbstmordversuchen. Auch seine Ärzte-Odyssee als Erwachsener ist nicht gerade angenehm. Und dennoch ist ein äußerst unterhaltsames Buch entstanden, in dem Gipi voll erzählerischer Wucht unchronologisch aus seinem Leben berichtet und dabei möglicherweise auch mehr als nur die ebenfalls in die Story eingewobene Piratengeschichte dazu erfunden hat. Gipi beherrscht es meisterlich, das oft auch groteske Alltägliche in Bildern einzufangen und dabei seine aus einfachen Strichen bestehenden Figuren lebendig werden zu lassen. Er zeigt mit diesem Buch erneut, warum er mit nur wenigen Werken zu einem der großen (und preisgekrönten) europäischen Comicerzähler wurde.



Opus
Satoshi Kon
Mittendrin statt nur dabei
Chikara Naigi ist Mangazeichner. Gerade ist er mit den letzten Seiten eines wichtigen Kapitels seines Mystery-Thrillers „Resonance“ beschäftigt, denn hier soll einer der Hauptcharaktere, der junge Rin, aufopferungsvoll sterben, damit das Böse besiegt werden kann. Es ist eine anstrengende Arbeit: Der Abgabeschluss naht und Chikara findet kaum Schlaf. Ist es also real, als er plötzlich einen dreidimensionalen Schacht auf einem der Zeichenblätter vor sich sieht oder ist es nur ein Traum, dass ihn dieser Schacht mitten hinein in die von ihm geschaffene Welt zieht? Während Chikara sich plötzlich an der Seite seiner Heldin, der telepathisch begabten Polizistin Sakoto, wiederfindet, hat auch seine Figur Rin die Grenze zwischen der realen und der Fantasiewelt überwunden. Rin hat die Zeichnung, die seinen Tod zeigt, gestohlen, denn so einfach lässt er sich nicht umbringen. Deshalb läuft auch die Geschichte in „Resonance“ ziemlich aus dem vom Autor geplanten Ruder, selbst dann noch, als Chikara den Weg zurück in seine Welt findet – einen Weg, den schließlich auch Sakoto entdeckt ...
Mit Opus wurde posthum erstmals ein Manga von Satoshi Kon veröffentlicht. Der vor fünf Jahre an Krebs verstorbene Künstler war in erster Linie als Anime-Regisseur (u. a. „Perfect Blue“) bekannt. Mit dem auf zwei Bände angelegten „Opus“ gelang ihm ein aufregendes Spiel um Realität und Fiktion, ein fantastisches und packendes Abenteuer.



Charly 9
Richard Guérineau/Jean Teulé
Königlicher Wahn
Charles IX. (hier als Karl IX. bekannt).war seit 1560 der König Frankreichs. In seine Regentschaft fiel die blutige Bartholomäusnacht. Der auch als Comickünstler bekannte Jean Teulé (in den 1980er-Jahren erschien auf deutsch sein Comic „Südstadt Virus“) erzählte vom kurzen Leben dieses Königs in seinem Roman Charly 9. Diesen Roman adaptierte nun wiederum Richard Guérineau als Comic. Charles, der, getrieben durch seine Mutter, das Einverständnis zum Protestanten-Massaker gab, sollte sich von dieser Blutorgie sein Leben lang nicht mehr erholen. Dass dieses Drama in „Charly 9“ unglaublich unterhaltsam ist, liegt an dem bissigen Humor, mit dem die Geschichte des durchgeknallten Königs mit dem guten Kern zu Papier gebracht wird. Das ist keine spröde Historie, sondern großartiges Entertainment – aber mit Tiefgang ... und vergangenes Jahr in Angoulême auch nominiert für den Preis als „Bestes Comicalbum 2014“ 




Die Geschichte von Samia Yusuf Omar
ab 12,00 €
nach em Roman von Jean Teulé
19,80 €
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